Abtreibungen: Was Sie über die Vorschläge zur Reform des Abtreibungsrechts wissen müssen (2024)

SchwangerschaftsabbrücheWas Sie über die Vorschläge zur Reform des Abtreibungsrechts wissen müssen

Abtreibungen sollen nach dem Willen einer Expertenkommission in Deutschland teilweise legalisiert werden. Doch welche Chancen hat der Vorschlag? Und wo steht Deutschland im europäischen Vergleich? Der Überblick.

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Innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen sollen Frauen grundsätzlich abtreiben dürfen: Zumindest fordern das die von der Bundesregierung berufenen Expertinnen und Experten aus Medizin, Recht und Ethik. Seit Ende März 2023 hatte die 18-köpfige »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« über eine mögliche Reform der Rechtslage von Schwangerschaftsabbrüchen beraten. Nun stellte das Gremium seine Vorschläge, über die der SPIEGEL bereits berichtet hatte, vor.

»Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft – derzeit Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs – ist nicht haltbar«, sagte Rechtswissenschaftlerin Liane Wörner bei der Präsentation in der Bundespressekonferenz. »Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen«, sagte Wörner. Darüber hinaus könnten Abbrüche auch in der mittleren Schwangerschaftsphase legal werden. In der Spätphase bleibe der Abbruch grundsätzlich rechtswidrig, müsse aber nicht strafbar sein.

Die Hintergründe zur Debatte:

Welche Regelung gilt aktuell?

Derzeit sind Abtreibungen hierzulande mit wenigen Ausnahmen grundsätzlich rechtswidrig. So heißt es in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs (StGB) wörtlich: »Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.«

Allerdings können nach Paragraf 218a Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen straffrei sein. Entscheidend ist dabei laut Gesetz, dass:

  • »die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung (…) nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen«.

  • »seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind«.

  • »der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird«.

Wozu rät die Expertenkommission?

Die von der Ampel eingesetzte Expertenkommission hält die geltenden Regeln für überholt. Der Wunsch einer Frau, ihre Schwangerschaft zu beenden, stehe unter einem starken grundrechtlichen Schutz, hieß es darin. Gleichzeitig komme dem Lebensrecht des Ungeborenen in der Frühphase der Schwangerschaft ein eher geringes Gewicht zu. »Der Frau steht in dieser Schwangerschaftsphase ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu.« Folgerichtig wäre es demnach, Schwangerschaftsabbrüche in diesem Zeitraum explizit zu legalisieren.

Die Begründung der Expertinnen: Die »Belange des Ungeborenen und die Belange der Schwangeren« seien je nach Phase der Schwangerschaft anders zu gewichten. »Das Lebensrecht hat vor der Geburt nicht das gleiche Gewicht wie danach«, erklärte die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf. Bis zur Lebensfähigkeit des Ungeborenen außerhalb des Mutterleibs ab etwa der 22. Schwangerschaftswoche trete der Lebensschutz des Ungeborenen gegenüber dem Abbruchverlangen der Schwangeren zurück.

Welche Positionen vertreten die Parteien?

Dass die Expertenvorschläge von der Ampelregierung rasch umgesetzt werden, gilt als unwahrscheinlich. Denn die Koalitionspartner sind sich über das weitere Vorgehen uneins. SPD und Grüne hatten in ihren Wahlprogrammen 2021 zwar noch selbstbewusst die Abschaffung von Paragraf 218 gefordert, nach Bekanntwerden der Kommissionsempfehlungen äußerten sich Parteivertreter jedoch zurückhaltend.

Zwar positionierte sich die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, deutlich. Es sei »überfällig, dass Schwangerschaftsabbrüche Teil der regulären Gesundheitsversorgung werden«, sagte Appuhn dem SPIEGEL. Grüne Partei und Fraktion wollten sich in dieser Frage zunächst nicht klar positionieren. Die Fraktionsführung veranlasste nach SPIEGEL-Informationen gar ein weitreichendes Kommunikationsembargo. Nach Darstellung einiger Abgeordneter geschah dies wohl auch aus Angst, die oppositionelle Union zu provozieren. Die hatte nach Publikwerden des Berichts mit einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gedroht.

Die Vizevorsitzende der FDP-Fraktion sprach sich dagegen aus. Es sei »wichtig, den vorliegenden Bericht mit seinen Empfehlungen sorgfältig zu prüfen und innerhalb der Koalition mit den Fachpolitikern ausführlich zu diskutieren«, so Jensen.

Die Union warnt bereits vor einer Neuregelung außerhalb des Strafrechts. »Das Strafgesetzbuch ist der richtige Ort, um dieses sensible Thema zu regeln. Es geht hier schließlich um den Schutz des ungeborenen Lebens und seiner grundgesetzlich verankerten Menschenwürde«, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher. In der Debatte gebe es »weder neue wissenschaftliche oder medizinische Erkenntnisse noch europa- oder völkerrechtliche Verpflichtungen«.

Wenig überraschend stellt sich auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gegen eine Aufweichung von Paragraf 218. »Völlig ohne Not wird hier eine Regelung, die sowohl die betroffene Frau als auch das ungeborene Leben in den Blick nimmt, infrage gestellt«, sagt ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp dem SPIEGEL bereits in der vergangenen Woche.

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So ist die Rechtslage im europäischen Ausland

Europaweit gelten sehr unterschiedliche rechtliche Bedingungen für Schwangerschaftsabbrüche.

In den Niederlanden etwa sind Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche möglich, bei schweren Gesundheitsproblemen während der Schwangerschaft auch später. Frauen können sich für eine Abtreibung direkt an eine der Abtreibungskliniken im Land wenden – es gibt Beratungsangebote, aber keine Verpflichtung, diese in Anspruch zu nehmen.

In Frankreich sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche seit 1975 straffrei. Mittlerweile dürfen Schwangere bis zur 14. Woche abtreiben, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Ein psychosoziales Beratungsgespräch ist nur für Minderjährige verpflichtend.

Eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa hat derzeit Polen. Seit 2020 ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche nur noch nach einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt – oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen.

fek/dpa

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Author: Margart Wisoky

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